Das zweite Gedicht von Mustafa Kör

Laubfall

 

Bei diesem vorzeitigen Abschied

gerät alles aus dem Takt

krähende Hähne, Kinderchöre, mein Herzschlag

 

Dein Fenster gab

den Blick frei über die Dächer

die Felder eines flämischen Dorfes

an klaren Tagen die Türme der Hauptstadt

 

Du wolltest leben

Hingst deine Jacke an einen fernen Ort

von dem keiner je gehört

 

Was macht es schon

dass Frieden herrscht

ob die Ernte gut ist

 

Erinnerungen an

alles trägt das Parfüm mit

einem Hauch von Blumen etwas Herbst

 

Die Straßenkatzen

das Mädchen von gegenüber

sie alle kennen deinen Namen

deine Geschichte vom Aufschrei bis zum Atemzug

du bist hier

Bruder, Freund, Nachbar, Kind von allen

 

Wie Laubfall im Mai

überzieht dein Geruch Dorf und Feld

verfrüht

 

Übersetzung: Isabel Hessel und das Übersetzerkollektiv von Passa Porta

 

Das erste Gedicht von Mustafa Kör

an dich

 

erhebe den kopf aus dieser dunklen stunde

unser weg wird bald frei unser gang wieder leicht sein

während wir orte betreten wo von mündern

abgespartes brot uns stärkt

 

wir werden einander jetzt

worte geben und keine haben

lebendige gelenkige wörter wo wir

aufgeräumte aufgeklärte gedanken wodurch du

gekrümmt wirst um noch gerader

noch barocker dichtend zu öffnen die herzen

die zimmer und grenzen darin wir sinnieren bis

der mensch sich schließlich selbst zersetzt sich

unterwegs zu dir eine gereinigte stimme beimisst

 

erhebe den kopf

es zählen weder kronen noch folger

wir sind schon die erde zu der wir vergehen

werden auch dieses neue leben zu bändigen

verstehen denn wir die geduldigen bauern

ernten für einander für später

 

 

Mustafa Kör

Übersetzung: Isabel Hessel und das Übersetzerkollektiv von Passa Porta