Flüchtlinge

Die Öffentlichkeit reagiert schockiert auf die steigende Zahl der Toten vor den Grenzen der Festung Europa. Charles Ducal, Belgiens Dichter der Nation schreibt in seinem Tryptichon nicht über die Menschenschmuggler, sondern er beleuchtet unsere Zivilisation. Das Recht auf Migration ist – theoretisch jedenfalls– ein Grundrecht der Menschen, jeder Ertrunkene ein Schrei nach weniger Eigeninteresse und mehr Gewissen. Hören wir ihn?

Flüchtlinge

– 1 –

Wir liefen unserer Angst entgegen.
Hinter uns nahte etwas weit Größeres.
Wir hatten keinen Mut, hatten gehört, wie die Stadt…
wollten doch hinein, bevor das Tor sich schloß.

 

Wir hatten Kinder begraben,
hatten gelernt, wie eine Beute sich rettet
und unsere Scham für ein Stück Brot abgelegt.
Die Hofhunde schwiegen, als sie uns sahen.

 

Vor dem Tor standen Stiefel und Pferde bereit.
Wir schickten die Schwangeren, die Kranken voraus
in der Hoffnung auf ein Gesetz mit Gültigkeit.
Man jagte sie zurück, es machte nichts aus.

 

Nachts liefen wir durch die Kloaken
unserer Angst entgegen. Waren ohne Hoffnung.
Doch hinter uns nahte etwas weit Größeres.
Wir mussten hinein, so oder so.

 

– 2 –

Wie konnten sie das verstehen?

 

An Land gegangen, weil sie Häuser sahen,
darum dachten, dass Menschen darin waren
die man um ein Brot bitten konnte,
Wasser, ein Bett, ein Bündel Stroh zur Not,

 

die sich erzählen ließen von ihrem Geschick,
mit geduldigen Ohren, mit warmem Blick.

 

Doch welcher Gott hatte die Wesen geschaffen,
die nach Beweisen ihrer Ängste fragten,
ihre Verzweiflung ablehnten wegen Artikel soviel?
Die ihr Boot wieder in den Sturm hineinjagten?

 

Wie konnten sie wissen, das dies der Teil
der Welt war, der sich satt gegessen hatte
an den Tischen von den sie geflohen?
Wie hoffen, das Brot brechen zu sehen?

 

Dort standen die Häuser wohlgenährt,
mit vollen Müllbehältern, in ihrer Ruhe gestört.
Man wollte Dankbarkeit für jede Krume
ihrer Kultur,

 

von Schuldbewußtsein keine Spur.

 

– 3 –

Die unter uns sind und nicht existieren,
weil ihnen die Stempel fehlen,
sind nicht unter uns, obwohl sie existieren.
Ich habe einem einen Schlafplatz gegeben.

 

ein Mann, in den eigenen Augen entstellt:
Hautfarbe mißlungen, Lächeln verdächtig.
Ein Mann hat sich selbst ausgefüllt,
wie erwartet: aus zweiter Hand, überflüssig,

 

dennoch auf ein Leben aus, einfach so,
ohne Grund, ohne Beweis fortgejagt zu sein,
gefoltert, bedroht mit dem Tod.
Bloß eine Frau mit drei Kindern.

 

Die Frau krank. Very sick.
Darauf hatte er gehofft.

 

Wir hatten nur wenige Worte. Genug
für ein Brot, ein Bad, ein Bett für die Nacht.
Worte, die wir nicht mehr benutzten,
weil für sie kein Platz mehr war.

 

 

Vertaling: Isabel Hessel en de andere leden van het Vertalerscollectief van Passa Porta.