Das zehnte Gedicht von Carl Norac

ZUG UND WEG

Mitteilung an alle Pendler

 

Das Anderswo beginnt nicht mehr an Ihrer Schwelle.

Das Wort »Weg« selbst weicht vor Ihnen zurück.

Das Gold der Zeit liegt immer auf dem Bahnsteig der anderen.

Sie steigen in den Zug wie jeden Morgen

und öffnen die Hände, erblicken dort den Hauch eines Zweifels.

Wissen um die Bewegung, die Mechanik der Kräfte

ohne das Geschwätz gehetzter Schritte, flüchtiger Gesichter.

Plötzlich, zwischen ratterndem Rollen, raschelnden Zeitungen,

den Sprachen des Landes, dem dösenden Erwachen,

kritzeln Sie ein paar Worte, ein Gedicht vielleicht

und Ihre Zeile verschmilzt mit dem Horizont.

Alles scheint in Reichweite eines Atemzugs, Hügel und Städte

dienen sich in geheimnisvoller Stille zur Berührung an.

Die Gleise ein fliehender Satz ohne Satzzeichen,

in dem die Leute am Bahnsteig, Silhouetten im Regen,

heute als unwahrscheinliche Kommas fungieren.

Wer ohne Zufall oder Wunsch die Fahrt antritt,

findet sich manchmal in dieser leichten Schwebe wieder:

Was Ihr Tag auch bringen mag, lassen Sie sich langsam

von der Landschaft vor Ihren Augen durchdringen.

 

Im Rahmen des Europalia Trains and Tracks – Schreibresidenz des belgischen Nationalen Dichters auf der Linie Ostende-Eupen in November und Dezember 2021.

Übersetzung: Christina Brunnenkamp