Das erste Gedicht von Els Moors als nationale Dichterin
Übersetzt von Isabel Hessel & Christina Brunnenkamp und dem Übersetzerkollektiv von Passa Porta.
1.
unsere städte liegen im regen wenn die asche fällt
sie wohnen im sturm wie schallendes gelächter
an dieser straßenecke bauen wir das haus
kommt es zum spalten der mauern
unser nachbar unser freund
hat den hund mit quecksilber aus eicheln vergiftet
besitz gleichwertig mit der wertigkeit des besitzers
die bäume unserer landschaft bleiben taub für alle unfairen forderungen
grün im frühling wie das spritzen junger tiere
stehen sie in einem rapsfeld gelb wie ein verstoß
unsere geschichte ist ein orchestriertes registrieren des aus
unannehmlichkeiten geborenen chaos
von wichtigen und weniger wichtigen personen
der ausbeutung des freien lichts
in den augen unfreier menschen
die rhythmische notwendigkeit unserer lieder
aus den fasern des papiers gepresst
2.
in häusern wie den unseren werden stammesfehden
rückwärts ausgetragen
um eine halde zu erklimmen reicht es aus um
1. die augen zu schließen und 2. sich der entstehung eines hügels zu erinnern
wir wünschen unserer stadt tiere an graffitiwänden die unseren bewohnern
die in zelten schlafen glück bringen
der sohn des polizisten der über die zahl der minuten wacht die du hierstehen darfst
ohne dass von einer versammlung die rede ist
unsere stadt ist eine steppe
und so geht wieder und wieder eine generation fort von der anderen
häuser und fabriken können nicht abgerissen werden
geld strömt wie wasser zur hintertür hinaus
es herrscht ein kommen und gehen von neuankömmlingen die sich vor einander verstecken
immer ist jemand an einem ort zuhause wo man ihn oder sie
nicht finden kann
3.
in unseren häusern dauert die dämmerung
wenn wir den schleier lüften verschwinden wir in der melancholie des lichts
aus unseren ländern weit weg
wir fallen zwischen die falten der zeit
während unsere kinder
von unsichtbaren rattenfängern abgeholt werden
nach der schule im nahegelegenen wald
von einem exhibitionisten belauert werden
gehäuft auf der straße starren sie auf den einzigen fernseher
durchs fenster der nachbarin
versilbern unsere vorzeigeimmigranten die fenster
indem sie spitzengardinen davorhängen
in unseren städten der mischungen und kreuzungen
spaltet unsere sonne sämtliche achsen von zeit und raum
der übergang von einem ort zum anderen
ist nicht komplizierter
als eine brücke über gleise zu legen
unter der bedingung dass wir mit den zwei seiten
unserer fremden gesichter das licht aufzufangen wissen
4.
wir wohnen in häusern die sich wie badewannen ausdehnen alles hat
bedeutung und ist teil einer geschichte
während vater und mutter die letzten sind die durch das haus trudeln
steht unser sohn wie ein stolzer Kasache aus pappe an der wand
die blumen blühen nachts wie mädchen durch die fenster
alles ist auf augenhöhe oder knapp darunter
wir haben einen engel der sich über uns beugt
eine frau die sagt ich werde dir zeigen wie unsere frauen sterben
sollen wir die brücke verlegen?
so übersetzt wirkt unsere Schelde wie eine schnecke
während unsere dichter komplizierte grimassen schneiden
ziehen unsere fernfahrer kartoffeln auf dem asphalt
wir schicken fotos von den schmetterlingen
auf der motorhaube an die heimatliche front
5.
wenn wir nicht länger herumtigern wohnen wir in schiffen
wie in Sibirien auf großen heizkesseln
andere arten wie wir uns warm zu halten wissen
zwei heizelemente an der vorder- und -rückseite von mutters rock
vater und mutter gehen aufeinander zu, stellen sich vor den ofen, heben
ihre kleider an und zeigen einander ihre nackten unterleiber
unser kapitän bleibt oben und blickt enttäuscht zu den schafen hinüber
er ist nicht in der lage in dieser reihenfolge zu lieben -zu töten -auf zu essen
unsere matrosen singen bis zum morgengrauen
auf kleinen mofas fahren sie falsch einen hügel hinauf
wonach das vorderrad ihres gefährts
einsam vor sich hindreht
auf den boden gefallen schauen sie hoch zu den sternen
denken an die nächste flasche bier im kühlschrank
unsere maler beginnen mit einer idee und fügen sich dann
gern dem gebot der schwerkraft
schlick von schlamm zu unterscheiden
schiffe mit hilfe von liften zu heben
6.
du willst wissen wo wir wohnen
wir wohnen in auf an und jenseits der Meuse
du willst wissen wo wir schwimmen
wir schwimmen auf den hügeln mit unseren freunden
es gab eine zeit da wir uns noch nicht /
für unsere armut schämten
da standen drei sorten konfitüre auf dem tisch
pflaume johannisbeere und rhabarber alle selbst gemacht
vater war eine stimme
die aus jedem unserer bücher sprach
7.
zu unseren füßen liegt das wasser
und am fuße des wassers liegt die bahntrasse
und am fuße der bahntrasse liegt das kernkraftwerk
und am fuße des kernkraftwerks liegt das papier und wartet in hohen stapeln
dass man es abholt
plötzlich scheint es uns nötig den augenblick zu bestimmen
an dem sich löwenzahn
zu einer fusselkugel verwandelt
spricht man von einer übergangsphase
wir haben alle die gabe
uns zu versammeln
unsere kinder halten sich gerade
doch das ist kein grund zur fröhlichkeit
sie müssen sich in der nächsten kurve verstecken
und zeigen auch zur unzeit die zähne
morgens und abends spielen wir ein paar akkorde/
auf einer schäbigen gitarre
wir geben zu verstehen dass es uns gibt
und dass wir dabei sind zu verschwinden
8.
wir sind überall gewesen
und haben beschlossen dass wir nirgendwo anders bleiben können
hier stecken wir unsere wurzeln in den boden
ja wir wollen bleiben
wie der mohn rot und blutig und leichtsinnig und voller ausflüchte
wie der fischer der den köder jahrelang im mund behält
unsere jugend labt sich im quadrat am quadrat und am bier
in einer schale milch
unangerührt ist das wort nach dem wir uns immer sehnen werden
wir vermitteln zwischen dem tal
und wie daraus zu entkommen
wissen nichts von den grenzen
unseres träumerischen reichs